Ein Mädchen und ihr Fahrrad

Als ich Fahrradfahren gelernt habe, ist die Mutter durch das nahgelegene Parzellengebiet hinter mir her gerannt, eine Hand an meinem Gepäckträger, bis ich irgendwann alleine das Gleichgewicht halten konnte. Ich habe gesagt, ich würde sie trainieren. 😉
Meine erste Radtour ohne Stützräder fand ihr jähes Ende darin, dass ich erschöpft und im Schritttempo auf der Straße rollte, mit dem Kopf anscheinend sonstwo war und in ein stehendes Auto fuhr. Sehr langsam. Und dann, samt Rad, einfach umkippte. Mitten in die Brennnesseln.
Irgenwas davon muss lange Zeit in mir gewirkt haben.. Fahrrandfahren habe ich bei der ersten Gelegenheit, mit 14, als mir der Schulweg mit dem Rad WIRKLICH zu weit erschien, an den Nagel gehängt.
Mit 18 wollte ich mal wieder anfangen.. Aber mein Fahrrad wurde nach der ersten Fahrt gestohlen. Das habe ich als Wink des Schicksals interpretiert. Es sollte einfach nicht sein. Bus und Bahn fahren und zu Fuß gehen mussten die einzig richtigen Optionen für meine Fortbewegung sein.
Dann kam der Freund. Ein überzeugter Radfahrer, bei Wind und Wetter, jede Entfernung. Sogar völlig abstruse Entfernungen, für die er Tage unterwegs ist und ein mini-Zelt in der Radttasche dabei hat, fährt er mit seinem Drahtesel. Und es hat ihn leicht wahnsinnig gemacht, dass ich nicht mal mehr ein Rad besaß.
Eines Tages brachte eine Freundin ein sehr kleines, blaues, leicht mitgenonommen aussehendes Fahrrad aus Berlin mit in die Heimatstadt und suchte dafür ein neues Heim, weil sie hier schon zwei andere hatte. Sie führte es mir vor und ich fuhr Probe. Es war wie Magie, ich fühlte mich direkt wohl auf dem kompakten Ding und es wurde meins. Natürlich hatte ich nicht vor tatsächlich viel damit zu radeln. Erst recht keine Wege über 1,5 Kilometer. Die darunter kann man aber auch gut laufen.
Aber der Freund gab nicht auf. Zwei Jahre bearbeitete er mich, mit kleinen Worten und auch großen, wieder und wieder, mit der Ausdauer, die er auch bei Radfahrten an den Tag legt und immer mehr ließ ich mich auf die neue-alte Erfahrung ein, mein kleines blaues Rad bekam einen Namen und etwas Dekoration, die Dekoration bekam sogar einen Namen. Es kam der Tag, an dem ich eine Weile nicht gefahren war und beim Aufsteigen ein friedliches Gefühl von "ahhhh.. endlich wieder!" hatte. Da wusste ich: Es war um mich geschehen, ich war zur Radfahrerin mutiert, kein zurück mehr möglich. Wege, die mir vorher übertrieben lang erschienen, begegnete ich mit dem Gedanken: "Ist ja eh viel praktischer mit Rad und sind ja nur sieben Kilometer". Sogar mit dem Hund fahre ich schon!



Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Bin ich halt jetzt Radfahrerin. Eigenheiten hab ich  dabei weiterhin, die den Freund auf Trab halten und seine Toleranz herausfordern. Vor Ampeln werde ich langsamer, für nicht abgesenkte Bordsteine steige ich kurz ab, mit Gewicht am Lenker kann ich nicht fahren, ich nutze meine Gangschaltung nicht, weil ich meinen optimalen Gang gefunden habe und je unbekannter das Terrain, desto langsamer werde ich. Seine Reaktionen darauf amüsieren mich.. und der stumme Kampf in seinen Augen zwischen Freude über meine Fortbewegungsart und Bestürzung, dass ich das so anders angehe, als er.. in diesen Momenten wird er beim Fahren langsamer.. und ich ziehe mit laut gesummtem Motorengeräusch, übertrieben nach vorne gebeut, an ihm vorbei und fühle mich frei, wild und frech 😊

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