Zeitreisen

Jedes Mal, wenn ich in der Küche stehe und backe, Schürze umgebunden, Rezept auf dem Küchentisch, Utensilien bereit gelegt und Zutaten raus gestellt, fühle ich mich ein wenig wie meine eine Großmutter, die ich genau so am strahlendsten in der Erinnerung habe. Sie hatte in der Küche alle Ruhe der Welt, so viel Friedlichkeit im Umgang mit Essen, völlig ok sich damit vielleicht den ganzen Tag zu beschäftigen. So, wie ich das (und vieles mehr) von ihr gelernt habe, habe ich von all meinen Großelternteilen gelernt, praktisches Wissen und auch theoretisches.

Was mir jetzt erst stärkert auffällt, sind die Erinnerungen, die ich von ihnen übernommen habe. Geschichten aus ihrem Leben, das Ergebnis von vielen Stunden: "Erzähl' von früher, erlzähl' noch mehr von damals!" Möglicherweise hat meine Mutter mit dem Fragen angefangen, damals, als ich zu klein war um selbst welche zu stellen, oder meine Großeltern haben von alleine angefangen zu erzählen, um mein junges Ich zu unterhalten.

Und ich glaube, die Geschichten und Erinnerungen meiner Großeltern (meiner Eltern auch) haben eine bedeutende Auswirkung auf mich, heute noch und immer gehabt. Sie geben mir Identität. Ich weiß ganz genau, wo ich her komme. Ich weiß, wer diese ganzen Menschen waren, wo ich ihnen in den jeweiligen Altersstufen geähnelt habe... und ich habe Ähnlichkeiten mit allen (gehabt). Ich kann mich durch die Ähnlichkeiten mit ihnen und darüber bis zu einem gewissen Grad mit der schwammigen Allgemeinheit, mit meiner Familie, indentifizieren. Ich bin eine von ihnen.

Außerdem verstehe ich mehr von dem, was in meiner Familie los ist, warum Sachen heute so sind, wie sie sind und manches versteh' ich nicht, weil es so jenseits meiner Zeit liegt, dass ich das vielleicht auch gar nicht kann. Gerade die Geschichten meiner Großmütter zu hören, hat mich beeindruckt und zu hören, wie viel diese beiden jungen und abenteuerlustigen Frauen von sich gegeben haben, um ihre Ehen und die Karrieren ihrer Männer zu ermöglichen und wie wenig darum gebeten und wie sehr es einfach erwartet wurde. (Deshalb glaube ich nicht, dass ihre Leben sonst besser oder schlechter gewesen wären und will auch die Ehen zu meinen Großvätern keinesfalls abwerten.)

Über die Jahre haben wir fast all die Städte besucht, an denen sie aufgewachsen sind, die Häuser von außen angeschaut, in denen sie groß geworden sind, sind durch das Stadtviertel gebumelt, waren auf Friedhöfen mit Urgroßeltern. Zeitreisen im Kopf, mitten in der Gegenwart. Auch das war gut für mich. So auch das anschauen von alten Fotos, durchsehen von Briefen und Karten, die damals geschrieben wurden. Ich bin meinen Eltern und allen vier Großeltern zutiefst dankbar, dass sie mir so selbstverständlich und offen meine Wurzeln gegeben haben und ich kann nur allen empfehlen sich von ihren Familien so viel davon mitgeben zu lassen, wie möglich, in der Zeit, in der das möglich ist.

Meine mir bekannten Wurzeln sind mein sicheres Fundament in dieser Welt, sie geben mir einen emotionalen Platz, den ich nicht verlieren kann. Sicherlich wäre mir ein gutes Leben auch ohne möglich, aber so ist es vielleicht ein Bisschen leichter.

(Ein Nebenphänomen ist, dass all die Erzählungen meine Großeltern für mich aus ihrer Rolle als meine Großeltern heraus holen. Es macht sie zu Menschen, zu Persönlichkeiten, entzaubert, aber greifbarer und mir näher.)

Momentan höre ich am liebsten, wenn der eine Großvater aus seinem Studium ezählt.. Nicht in einer Vorlesung zu sitzen, sondern stattdessen mit Freunden Bier zu trinken, kommt mir nämlich irgendwie bekannt vor. Einer Zeitreise, um das mal einen Tag mit ihm in seinen Zwanzigern zu machen, wäre ich nicht abgeneigt, falls jemand zufällig eine größere und reisefähige TARDIS zur Verfügung hat: Melde dich gern ;)


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Insel - Urlaubsrückblende

Neulich in der Wg-Küche - Das Chaos und die Lichterkette

Pen&Paper - meine neues Hobby