Wo die Freundschaft aufhört

Meine soziale Blase war immer sehr gleich. Meine Familie war nie stark politisch, hat sich immer auf Liebe und Respekt im Alltag beschränkt, mein Freundeskreis ist hauptsächlich, wie sagt man so schön, links-grün-versifft und immer auf Gewaltfreiheit bedacht. Der Wahl-O-Mat hat bei mir und meinen Mitbewohnern zu identischen Ergebnissen geführt.

Und dann hat ein bisher sehr links-orientierter Freund seine politische Wende bekannt gegeben. Er wähle nun die AFD und fühle sich den "Neuen Rechten" zugehörig. Als er das erzählte, kam es rüber, wie eine Beichte. Er hatte vorher schon ein großes Gespräch angekündigt, nach dem ich entscheiden müsse, ob unsere Freundschaft weiter bestünde. Tatsächlich haben unsere ursprünglich gemeinsamen Freunde, über die wir uns kennen lernten, nachdem sie das von ihm gehört hatten, den Kontakt abgebrochen.
Ich muss zugeben, am Anfang war ich nur überrascht und geschockt. Weil ich damit nicht gerechnet hatte, weil ich nie hinterfragt hatte, dass politisch rechts doof ist, weil das so fremd war, weil das für Freunde, die ich für informierter als mich halte, scheinbar ein "Dealbreaker" war.
Aber er stand vor mir und sah aus wie immer. Vor einem Jahr habe er sich politisch schon umorientiert, erzählte er. In der Zeit hatte ich ihn oft gesehen, mit ihm gelacht, wir hatten gemeinsam auf den Welpen meiner Mutter aufgepasst und Musiktipps ausgetauscht, nie war mir irgendetwas ungewohntes an ihm aufgefallen.
Ich wünsche mir, dass meine Freunde zu mir halten, auch wenn sie nicht meiner Meinung sind, was sie natürlich offen sagen dürfen. Und ich habe ihm direkt gesagt, dass unsere Freundschaft nicht gefährdet ist, weil ich davon ausgehe, dass er auf dem Grund seines Herzens immer der Mensch bleiben wird, den ich gerne mag.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uns gegenseitig unsere unterschiedlichen Meinungen lassen und dass ich, so kritisch, wie ich möchte, alle Fragen stellen darf, die mir so einfallen.

Diese Situation habe ich zum Anlass genommen um mich endlich richtig über die "Neue Rechte", Parteien, die dazu gehören und politische Gruppen zu informieren. Und was ich dazu finde, schockiert mich weiter. Und ich stelle diesem Kumpel mehr Fragen und bekomme Antworten, die mir nicht gefallen. Und bringe ihn gelegentlich halb zum Verzweifeln, weil ich manche Sachverhalte so unlogisch finde, dass er mit seinen Versuchen sie mir zu erklären, gegen eine Wand rennt. Er und ich bemühen uns dem anderen zuzuhören, nicht zu urteilen, immer wieder zu Themen zurück zu kommen, die uns verbinden. Ich merke allerdings, dass es schwer wird unsere Differenzen auszublenden und wie mich das Thema von politischer Unterschiedlichkeit in Freundschaften dauerhaft beschäftigt, dem ich bisher nie viel Bedeutung beigemessen habe. Aber es gab ja auch nie Unstimmigkeiten.

Dazu habe ich herum gefragt, wie meine Freunde und Familie das sehen, welche Rolle die politische Meinung ihrer Freunde für sie spielt und wie sie sich an meiner Stelle verhalten hätten.
Ein Teil wurde nachdenklich, stellte fest, dass Politik oft gar nicht besprochen wird oder dass sie Politik lieber nicht besprechen, weil sie sonst aneinander geraten könnten - vermutlich. Der andere Teil hat eine ebenso homogene Freundschaftsgruppe, wie ich bisher, in der alle ähnliche Überzeugungen teilen. Und davon haben ein paar direkt und ohne zu zögern gesagt, dass sie den Kontakt zu besagtem Kumpel von mir an meiner Stelle sofort beendet hätten.

Es kommt mir anmaßend vor zu hoffen, dass er seine Ansichten bald noch einmal ändert, ein Teil von mir tut es dennoch. Damit das Problem einfach weg ist und alles wird, wie vorher. Gleichzeitig finde ich es aber auch spannend mit ihm über Themen zu diskutieren, bei denen wir wissen, dass wir nicht zueinander finden werden und eine gute Übung trotzdem wertschätzend zu bleiben ist es auch.

Ob das dauerhaft gut geht, weiß ich nicht. Vielleicht kann einer von uns irgendwann nicht mehr und definiert seine/ihre Freundschaftsgrenze neu oder wir finden keinen gemeinsamen Boden mehr oder vielleicht verbannen wir Politik aus unserem Gesprächsthemenfundus oder alles fügt sich und in 50 Jahren sitzen wir alt und runzelig auf einer Parkbank und lachen, weil wir uns früher mal so viel Stress gemacht haben. Mal sehen.


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